Mittwoch, 10. Dezember 2014

Ayana begegnet dem Christkind

Das kleine Mädchen mit den großen dunklen, fast schwarzen Augen im braunen Gesicht, das ein wenig an die Farbe von Kakao erinnerte, sah verwirrt auf das Glitzerwesen direkt vor sich. Ayana, so hieß das Mädchen, ging vorsichtshalber einen Schritt zurück. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Das Glitzerwesen war von Kopf bis Fuß hell. Es trug ein weißes Gewand, mit einer goldenen Bordüre und einem Gürtel aus lauter Sternen. Unter einer Krone quollen helle Haare, die bis auf die Schulter fielen, hervor. Die Arme mündeten in goldenen Flügeln. Dieses Wesen sagte etwas, aber die Worte waren Ayana fremd. Sie verstand nicht, was das Wesen meinte. Sie wusste auch nicht wer das Wesen war. So wusste Ayana nicht, dass direkt vor ihr das Christkind stand.

Ayana kam aus einem fremden Land. Weihnachten kannte sie durchaus auch. Es war nämlich der christliche Glaube, der Grund dafür war, dass die Familie von Ayana nicht mehr in ihrer Heimat leben konnte. Denn die Menschen hassten sie wegen ihres Glaubens. Deshalb stand Ayana nun hier mitten auf einem unbekannten Marktplatz in einem fremden Land.

Noch immer klebten ihre Augen wie festgewachsen auf dem sonderbaren Wesen. Trotz ihres christlichen Glaubens hatte Ayana noch niemals das Christkind gesehen. Nicht mal auf Bildern und erst recht nicht in Wirklichkeit. Deshalb wusste Ayana auch nicht, dass das Christkind Wünsche erfüllte.
Doch das kleine Mädchen mit den krausen, schwarzen Haaren und dem nachtschwarzen Gesicht hatte keine Wünsche mehr. Denn alles was sie sich einst wünschte, musste sie zurücklassen in einer Heimat, die weit entfernt von diesem Marktplatz lag. Sie hatte ihre Wünsche längst vergessen in einem Land, das ihr keinen Schutz bot und ihre Familie nicht haben wollte.

Da kam das Christkind direkt zu Ayana, reichte ihr einen Lebkuchen und sagte zu ihr: „Frohe Weihnachten“. Auch wenn Ayana die Worte nicht verstand, so merkte sie doch, dass das Christkind es gut mit ihr meinte. Sie nahm den Lebkuchen und antwortete in der für sie fremden Sprache mit denselben Worten: „Frohe Weihnachten“. Dabei spürte Ayana, dass sich ein winziger Funke Freude in ihr ausbreitete. Und tief in ihr keimte die Ahnung, dass sich der einzige Wunsch, den sie noch hatte, nämlich, irgendwo ohne Angst leben zu können, vielleicht doch noch erfüllen würde.

Diese Geschichte unterliegt dem Urheberrecht und darf nur mit meiner ausdrücklichen Genehmigung verwendet werden.

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Dienstag, 9. Dezember 2014

Wie die vorwitzigen Rentiere beinahe Weihnachten verhindert hätten…

Es war einmal vor langer, langer Zeit. Wie von alters her der Brauch, stand wieder einmal Weihnachten vor der Tür. Am Nordpol hörte man es aus allen Werkstätten hämmern und sägen. Die Zwerge wuselten munter und fleißig herum und setzten ihre ganze Energie ein, um ausgesuchte Weihnachtsgeschenke für die Kinder in aller Welt anzufertigen. Dazwischen sah man wunderschöne, zarte Geschöpfe, die rasch mit ihren durchscheinenden Flügeln schlugen und emsig dabei waren, Besorgungen zu machen. Es handelte sich um die Elfen, die soeben alle Zutaten für das Weihnachtsgebäck herbeischafften. In den Bäckereien liefen die Vorbereitungen dazu schon auf Hochtouren. Der Ofen war bereits angeheizt, die Zwerge standen schon bereit, um den Teig zu kneten. Als die Elfen mit den Zutaten hineinschwirrten, konnte endlich gerührt, geschüttet, geschlagen und geknetet werden. In einer Ecke standen Elfen, die eine Eiermasse herstellten, in einer anderen Ecke kneteten Zwerge den Teig, am nächsten Tisch rollten Zwerge den Teig aus, der dann wieder von den Elfen mit den verschiedensten Formen ausgestochen wurde. Bald schon roch es verführerisch nach leckerem Weihnachtsgebäck.

Auch der Weihnachtsmann zog genießerisch den Duft nach Zimt ein. „Hmm, wie das duftet!“, freute er sich. Er schritt weit aus, denn er musste den Fortschritt der Vorbereitungen kontrollieren. Langsam wurde es Zeit. Die Schlitten standen schon bereit und mussten demnächst mit den Geschenken bestückt werden.

Der Weihnachtsmann schaute den Zwergen genau auf die Finger. Jeder Handgriff musste sitzen. Bald war es soweit. Alles konnte eingeladen werden. Die Zwerge halfen genauso mit, wie auch die Elfen. Die Rentiere standen am Rand und schauten zu. Noch hatten sie nichts zu tun.

Zwei aus dem Sechsergespann sagten zueinander: „Mir ist langweilig, es dauert noch so lange bis wir endlich angespannt werden. Bis dahin könnten wir uns noch ein wenig die Füße vertreten.“ Gesagt, getan. Die beiden Rentiere entfernten sich von den anderen und liefen über die weiße Eiswüste des Nordpols. Nach einer ganzen Weile meinte das eine Rentier zu dem anderen: „Duuu, ich glaube wir müssen wieder zurück.“ 
Das andere schaute sich um und sagte: „Ist gut, aber wo ist ‚zurück‘?“ 
Das erste Rentier zuckte mit den Ohren: „Das weiß ich auch nicht.“ Sie schauten beide ratlos auf die große Eiswüste, die überall gleich aussah. Jetzt waren die beiden Rentiere traurig. Was sollten sie nur machen? Sie mussten dringend nach Hause.
Der Weihnachtsmann wollte doch losfahren! Wenn sie nicht schnell nach Hause kämen, würden die Kinder an diesem Weihnachten keine Geschenke bekommen. Die Rentiere galoppierten über das Eis. Nach einer Weile wurden sie müde und erschöpft, aber zu Hause waren sie noch immer nicht. Langsam kroch ihnen die Angst in die Glieder. 
„Wenn wir nie wieder heim finden“, jammerten sie. 
„Was sollen wir nur machen?“ 
Sie wussten sich beide keinen Rat. Es wurde dunkel und die Sterne leuchteten vom Himmel. Ein besonders heller und vorwitziger kleiner Stern sah die traurigen Rentiere und beugte sich langsam vom Himmel herunter. 
„Was ist denn mit euch los?“, wollte er wissen. 
„Wir finden den Weg nach Hause nicht mehr“, klagten die Rentiere ihr Leid. 
„Ich helfe euch“, bot ihnen der Stern sofort an. „Geht einfach meinem Licht nach“. Die Rentiere folgten dem hellen Licht des Sterns und wirklich kamen sie endlich wieder zu Hause an.


Sie hatten Glück, dass der Weihnachtsmann so sehr damit beschäftigt war, die Geschenke auf dem Schlitten zu verstauen, dass er die Abwesenheit der beiden Rentiere noch gar nicht bemerkt hatte. So waren sie gerade noch rechtzeitig gekommen. Die Rentiere wurden vor den Schlitten gespannt und der Weihnachtsmann machte sich mit seinem Gespann auf den Weg zu den Kindern in aller Welt.

Die Geschichte unterliegt dem Urheberrecht und darf nur mit meiner ausdrücklichen Genehmigung verwendet werden.

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Mittwoch, 3. Dezember 2014

Wie der Nikolaus einmal selbst beschenkt wurde

Er saß schon lange da auf den Eingangsstufen der großen Kirche. Ein alter Mann mit dichtem weißen Bart und einem roten Mantel. Die rote Zipfelmütze hatte er tief ins Gesicht gezogen, um sich so vor der eisigen Kälte zu schützen. Wenn jemand an ihm vorüberging, hob er den Blick und versuchte dem Passanten in die Augen zu schauen. Meistens vergebens. Denn die Vorübergehenden hasteten eilig vorbei, zielstrebig in die Büros, die Kaufhäuser, oder nach Hause. Dorthin wo es warm war. Wo es eine Heizung gab und sie nicht der eisigen, klirrenden Kälte ausgesetzt waren. Kaum jemand verschwendete einen Blick, oder gar einen Gedanken an den bibbernden, vor Frost starrenden Alten im durchscheinenden, roten Mantel. Wer seinen Blick auffing, stutzte für einen Moment, mancher wurde unsicher, kramte in seiner Tasche, oder im Geldbeutel nach ein paar Münzen und wollte sie in den bereitgestellten Hut, oder was auch immer werfen. Auf der Suche nach einem solchen Gefäß hielten sie die Münzen unschlüssig in der Hand, schauten darauf, als wüssten sie nicht wie die Geldstücke in ihre Hände gelangt wären, zögerten kurz und – je nach Temperament – drückten sie die Münzen dann dem Alten in die Hand, oder aber sie steckten sie wieder zurück, nachdem sie nichts fanden, in das sie die wenigen Cents werfen konnten. Sie zuckten mit den Schultern und gingen ihrer Wege. Der Alte war schon vergessen. Er gehörte nicht zu ihrem Leben. Natürlich nicht. Wie sollte er auch. Der alte Mann saß stattdessen weiter auf den großen breiten Stufen und wartete. Worauf er wartete, hätte er wohl selbst nicht zu sagen vermocht. Doch wenn er etwas gelernt hatte in seinem Leben, dann, dass es sich lohnt zu warten. Denn er hatte viel Schlimmes erlebt im Leben. Er war aus einem fremden Land nach Deutschland gekommen. In seiner Heimat herrschte Krieg. Soldaten hatten  seine Frau und seinen Sohn umgebracht. Sein Haus war zerstört worden. Er konnte nicht mehr bleiben und er flüchtete. Weg, irgendwohin in ein Land ohne Mörder und ohne Angst. Irgendwann war er dann nach Deutschland gelangt.

Obwohl er längst geglaubt hatte, dass alles zu Ende sein müsste, war es weitergegangen. Es lohnt sich, einfach darauf zu warten, dass es weiter geht und dass es besser wird. Irgendwie musste es einfach besser werden.

Der alte Mann saß da und wartete. Er schaute hinauf zum Himmel und sah wie langsam der erste Schnee aus dicken Wolken fiel. Die Flocken glitten zeitlupengleich und mit Bedacht zur Erde, so als wollten sie den alten Mann behutsam auf den für ihn ungewohnten Winter einstimmen. Die Kinder jauchzten und freuten sich. Der alte Mann aber zog seinen roten Mantel noch fester um die ausgemergelten Schultern. Langsam wurde es dämmrig, die ersten Lichter hüllten die Stadt in einen adventlichen Glanz. Trotzdem blieb der Mann wo er war. Er wartete.

Da tauchte plötzlich ein anderer Mann auf. Er hieß Ben Meier und hatte gerade Feierabend. Ben sah den Alten und ging auf ihn zu.

 „So sieht der Nikolaus aus“, sagte er mehr zu sich selber als zu dem Mann. „Nur nicht ganz so mager.“ Er begann mit dem Mann zu reden. Der Alte verstand ihn nicht wirklich, denn er konnte kaum Deutsch. Ben fragte ihn: „Wie heißt du?“ „Nikolaos“, kam die Antwort. Da hatte Ben eine Idee: „Du bist heute mein Gast. Meine Familie wartet auf den Nikolaus. In diesem Jahr machen wir es einfach mal anders: Statt dass der Nikolaus mit Geschenken zu uns kommt, beschenken wir den Nikolaus.“

Genau so machte er es.  Das Warten hatte sich für den alten Mann gelohnt.


Die Kinder der Familie Meier fanden es sehr, sehr  aufregend, einen Mann aus einem ihnen unbekannten Land kennenzulernen. Sie lauschten gebannt seinen Geschichten. Sie verstanden zwar nur wenig, denn Nikolaos musste immer wieder nach Worten suchen. Aber die Kinder freuten sich sehr über den interessanten Gast. Als sie an diesem Abend zu Bett gingen, dachten sie noch lange über den Mann mit dem Namen „Nikolaos“ nach. Ob er wohl mit dem „richtigen Nikolaus“ verwandt war? Der kam ja auch nicht aus Deutschland und hieß fast genauso. Vor lauter Denken schliefen sie allmählich ein und in ihren Träumen wurde aus Nikolaos mit einem Mal ein strahlender Bischof ganz so wie einst der Bischof Nikolaus.




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